Scham – Die Emotion, so unbeliebt wie Flöhe

Scham. Allein das Wort kann schon ein unangenehmes Gefühl in Dir auslösen, oder? Diese Emotion ist eine der unbeliebtesten, sie schleicht sich in die unpassendsten Momente ein und fühlt sich so lästig an wie Flöhe. Doch auch Scham hat ihre Aufgabe, und wenn wir sie besser verstehen, können wir lernen, mit ihr umzugehen – und sogar von ihr zu profitieren. Lass uns tiefer eintauchen in die Wissenschaft hinter dieser Emotion und die Frage klären, warum sie nicht nur Schattenseiten hat.

Was passiert im Gehirn bei Scham?

Scham ist nicht nur ein psychologisches Phänomen, sie hat auch tiefe neurologische Wurzeln. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass Scham eine starke Aktivierung im sogenannten präfrontalen Cortex und der anterioren Insel auslöst. Diese Gehirnareale sind dafür verantwortlich, wie wir über uns selbst nachdenken und uns im sozialen Kontext erleben. Studien zeigen, dass Scham uns dazu bringt, uns selbst kritisch zu bewerten und unser Verhalten im Lichte gesellschaftlicher Normen zu reflektieren.

In der Forschung von Dr. Helen B. Lewis wurde gezeigt, dass Scham eng mit dem “Selbst” verbunden ist. Während Schuld vor allem mit spezifischen Handlungen verknüpft ist, ist Scham eine globalere Bewertung der eigenen Person. Es fühlt sich an, als wäre nicht nur das Verhalten falsch, sondern man selbst als Person.

Scham vs. Schuld: Was ist der Unterschied?

Während Scham und Schuld oft als ähnliche Emotionen betrachtet werden, gibt es entscheidende Unterschiede. Schuld tritt auf, wenn Du etwas tust, das gegen Deine Werte oder die Werte der Gesellschaft verstößt. Du fühlst Dich schuldig für eine Tat oder ein Verhalten. Scham hingegen geht tiefer. Sie bezieht sich nicht auf das, was Du getan hast, sondern auf das, wer Du bist. Schuld lässt sich oft durch Wiedergutmachung oder Entschuldigung auflösen, Scham dagegen kann das Gefühl hervorrufen, als Person grundsätzlich ungenügend zu sein.

Die Funktionen der Scham: Mehr als nur eine unangenehme Emotion

So unangenehm Scham auch ist, sie erfüllt wichtige Aufgaben. Sie fungiert als soziales Regulativ. Durch Scham werden wir darauf aufmerksam, wenn wir gegen soziale Normen verstoßen haben. Sie hilft uns dabei, unser Verhalten zu überdenken und anzupassen, um nicht von der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Diese Funktion ist tief in unserer evolutionären Geschichte verwurzelt – in früheren Zeiten war das Überleben in hohem Maße davon abhängig, Teil der Gemeinschaft zu bleiben. Scham signalisiert uns, dass wir gerade etwas tun, das uns in den Augen anderer schlecht aussehen lässt, und motiviert uns zur Korrektur.

Doch Scham hat auch ihre Schattenseiten. Chronische Scham, die immer wieder auftritt und mit Selbstabwertung einhergeht, kann uns in einen Teufelskreis der Isolation und des Rückzugs führen. Menschen, die häufig Scham empfinden, neigen dazu, sich zu verstecken und weniger authentisch zu sein. Scham kann lähmen und das Vertrauen in sich selbst untergraben, wenn sie nicht angemessen verarbeitet wird.

Der Nutzen von Scham: Wie sie uns wachsen lässt

Trotz ihrer unangenehmen Natur hat Scham auch positive Seiten. Sie zwingt uns, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen. Sie ist eine Chance zur Selbstreflexion, zur Korrektur und zum persönlichen Wachstum. Wenn Du lernst, Scham nicht als Feind zu betrachten, sondern als Hinweis auf verborgene Bedürfnisse oder ungelöste Themen, kann sie zu einem wertvollen Wegweiser werden.

Ein Beispiel: Wenn Du Dich schämst, weil Du in einer Situation unvorbereitet warst, kannst Du diese Erfahrung nutzen, um zukünftig besser vorbereitet zu sein. Scham hilft Dir, Deine Standards zu überprüfen und Deine Fähigkeiten zu verbessern.

Wie Du besser mit Scham umgehen kannst

Ein hilfreicher Umgang mit Scham beginnt damit, diese Emotion zu erkennen, anstatt sie zu verdrängen. Wenn Du das nächste Mal Scham spürst, versuche, innezuhalten und zu beobachten, was sie Dir sagen will. Finde heraus, ob Du sie aus einem inneren Druck heraus empfindest, einem übertriebenen Perfektionismus vielleicht, oder ob sie tatsächlich auf ein Verhalten hinweist, das Du verändern möchtest.

Eine einfache, aber effektive Übung ist es, freundlich mit Dir selbst zu sprechen. Frag Dich, was Du einem guten Freund in der gleichen Situation sagen würdest. Meistens sind wir mit uns selbst viel härter als mit anderen. Genauso wichtig ist es, Scham im Kontext zu betrachten. Manchmal schämen wir uns für Dinge, die gar nicht so schwerwiegend sind, wenn man sie in einem größeren Zusammenhang sieht.

Scham ist nur eine von vielen Emotionen, die wir erleben – und je mehr Du Dich mit Deinen Gefühlen auseinandersetzt, desto stärker wirst Du in Deiner emotionalen Intelligenz. Sei neugierig auf Deine Emotionen, auch auf die unangenehmen. Denn sie alle haben eine Aufgabe und können Dir wertvolle Erkenntnisse über Dich selbst liefern.

Studien zur Scham

  1. Die Forschung von Dr. June Tangney hat gezeigt, dass Scham eng mit Prozessen der Selbstbewertung verbunden ist und dass Menschen, die häufiger Scham empfinden, auch ein höheres Risiko für Depressionen und Angstzustände haben.
  2. Jessica Tracy und Richard Robins haben in ihrer Studie herausgefunden, dass Scham eine evolutionäre Funktion hat, um das soziale Verhalten zu regulieren. Sie hilft uns, unsere Position in der Gruppe zu überdenken und uns besser anzupassen.
  3. Brene Brown hat umfangreich zu Scham und Verletzlichkeit geforscht und betont, dass Scham nur überwunden werden kann, wenn wir den Mut haben, uns mit ihr auseinanderzusetzen und sie nicht zu verdrängen.

 

Fazit

Scham ist eine komplexe und oft unangenehme Emotion, aber sie hat auch ihre Berechtigung. Sie kann uns helfen, uns selbst besser zu verstehen, unser Verhalten zu reflektieren und daran zu wachsen. Sie erinnert uns daran, dass wir soziale Wesen sind, die sich nach Akzeptanz und Zugehörigkeit sehnen. Indem Du lernst, Scham anzuerkennen und konstruktiv mit ihr umzugehen, kannst Du ein tieferes Verständnis für Dich selbst entwickeln und Deine emotionale Resilienz stärken.

 

Quellen:

  • Tangney, J. P., & Dearing, R. L. (2002). Shame and guilt. The Guilford Press.
  • Tracy, J. L., & Robins, R. W. (2004). Putting the self into self-conscious emotions: A theoretical model. Psychological Inquiry, 15(2), 103–125.
  • Brown, B. (2012). Daring Greatly. Penguin Random House.