Warum unerwünschte Gefühle wertvoll sind – und wie du mit ihnen umgehen kannst
Wir alle kennen das: Unangenehme Gefühle wie Angst, Wut, Schuld oder Traurigkeit können überwältigend sein. Viele von uns versuchen, diese Emotionen zu vermeiden oder zu unterdrücken, weil sie uns auf den ersten Blick negativ erscheinen. Doch was wäre, wenn diese Gefühle nicht unsere Feinde, sondern unsere Verbündeten wären? Wenn sie uns wichtige Botschaften über unser Leben senden?
In diesem Beitrag erfährst du, warum unangenehme Gefühle nicht „schlecht“ sind, warum es sinnvoll ist, ihnen Raum zu geben und wie du konstruktiv mit ihnen umgehen kannst. Wir werfen außerdem einen Blick auf die neuesten neurobiologischen und psychologischen Erkenntnisse, um das Thema wissenschaftlich fundiert zu beleuchten.
Unangenehme Gefühle: Was sind sie und warum fühlen wir sie?
Unangenehme Gefühle sind Emotionen, die wir meist als störend, belastend oder beängstigend erleben. Dazu gehören:
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- Angst
- Wut/Ärger
- Schuld/Scham
- Ekel
- Traurigkeit
Diese Gefühle werden oft als „schlecht“ oder „negativ“ bezeichnet, während angenehme Gefühle wie Freude, Zufriedenheit, Liebe oder Dankbarkeit als „gut“ oder „positiv“ gelten. Doch hier liegt eine Schlüsselunterscheidung, die wir uns bewusst machen sollten: Es gibt keine guten oder schlechten Gefühle – es gibt nur angenehme und unangenehme Emotionen. Jede Emotion erfüllt einen Zweck und ist Teil unserer menschlichen Natur.
Der biologische Zweck unangenehmer Gefühle
Unangenehme Gefühle haben ihren Ursprung tief in unserem Gehirn. Evolutionär gesehen sind sie Überlebensmechanismen. Angst beispielsweise warnt uns vor Gefahren, Wut hilft uns, unsere Grenzen zu verteidigen, und Schuldgefühle erinnern uns daran, dass wir unsere Werte verletzt haben.
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass das limbische System, der Teil des Gehirns, der für unsere Emotionen zuständig ist, diese Reaktionen auslöst, um unser Überleben zu sichern. Diese Reaktionen sind also tief in uns verankert und haben uns über Jahrtausende geholfen, in einer gefährlichen Welt zu bestehen. Heute jedoch leben wir in einer komplexeren sozialen Umgebung, und die Art und Weise, wie wir diese Gefühle erleben und bewerten, hat sich verändert.
Unangenehme Gefühle als Wegweiser zu Bedürfnissen
Ein wichtiger Punkt, den wir oft übersehen, ist: Unangenehme Gefühle sind nicht unsere Feinde, sondern unsere Diener. Sie weisen uns auf unerfüllte Bedürfnisse hin.
- Angst kann darauf hindeuten, dass wir Sicherheit brauchen.
- Wut zeigt uns, dass unsere Grenzen verletzt wurden und wir Schutz oder Autonomie benötigen.
- Schuld weist darauf hin, dass wir gegen unsere inneren Werte gehandelt haben und den Wunsch nach Integrität haben.
- Traurigkeit signalisiert, dass wir einen Verlust erfahren haben und Trost, Verbindung oder Ruhe benötigen.
Diese Emotionen bieten uns also eine Chance, innezuhalten und uns zu fragen: Welches Bedürfnis steckt hinter diesem Gefühl? Was fehlt mir gerade?
Wie gehe ich mit unangenehmen Gefühlen um?
Es gibt zahlreiche Strategien, um konstruktiv mit unangenehmen Gefühlen umzugehen, ohne sie zu verdrängen oder sich von ihnen überwältigen zu lassen. Hier sind einige Ansätze:
1.Akzeptanz statt Widerstand
Anstatt unangenehme Gefühle zu bekämpfen, ist der erste Schritt, sie zu akzeptieren. Wissenschaftliche Studien im Bereich der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) zeigen, dass der Versuch, unangenehme Gefühle zu vermeiden, diese oft nur verstärkt. Akzeptanz bedeutet nicht, dass du die Gefühle gutheißen musst, sondern dass du anerkennst, dass sie da sind und eine Botschaft für dich haben.
2.Gefühle benennen
Studien zeigen, dass das einfache Benennen von Gefühlen – etwa „Ich fühle Angst“ oder „Ich bin wütend“ – die Intensität dieser Gefühle reduzieren kann. Der Neurowissenschaftler Matthew Lieberman hat in seinen Studien herausgefunden, dass das Etikettieren von Emotionen die Aktivität der Amygdala (unserem Angstzentrum) verringert und das Gefühl weniger bedrohlich macht.
3.Atemtechniken und Achtsamkeit
Tiefe Atemübungen und Achtsamkeit helfen, unangenehme Gefühle zu regulieren. Durch bewusste Atmung aktivierst du den Parasympathikus, den „Ruhenerv“ deines Körpers, der dich beruhigt und aus dem Kampf- oder Fluchtmodus holt. Achtsamkeit hilft dir, Gefühle wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten oder von ihnen mitgerissen zu werden.
4.Gefühle als Hinweis auf Bedürfnisse verstehen
Frage dich: Was steckt hinter meiner Emotion? Welches unerfüllte Bedürfnis ruft sie hervor? Zum Beispiel: Wenn du wütend bist, kann es sein, dass du das Bedürfnis nach Respekt oder Anerkennung hast. Wenn du traurig bist, könnte es das Bedürfnis nach Verbundenheit oder Unterstützung sein.
5.Kommunikation und Empathie
Teile deine Gefühle mit anderen – auf eine gewaltfreie Weise. Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall Rosenberg bietet ein starkes Werkzeug, um deine Emotionen zu benennen, die dahinterliegenden Bedürfnisse zu erkennen und in Beziehung zu anderen zu bringen. Anstatt zu sagen „Du machst mich wütend“, könntest du sagen: „Ich fühle mich wütend, weil mein Bedürfnis nach Respekt unerfüllt ist.“
6.Selbstmitgefühl entwickeln
Kristin Neff, eine führende Forscherin im Bereich Selbstmitgefühl, hat gezeigt, dass Menschen, die sich selbst mit Freundlichkeit und Verständnis begegnen, statt sich selbst zu verurteilen, besser mit schwierigen Emotionen umgehen können. Sei also milde mit dir, wenn du unangenehme Gefühle erlebst – du bist nicht allein damit.
Unangenehme Gefühle als Chance zur Weiterentwicklung
Unangenehme Gefühle sind also keineswegs schlecht oder negativ. Sie sind Botschafter, die uns wertvolle Informationen über uns selbst und unsere Bedürfnisse geben. Sie laden uns ein, genauer hinzusehen, achtsamer zu werden und zu verstehen, was wir wirklich im Leben brauchen.
Indem wir lernen, diese Emotionen zu akzeptieren und ihnen Raum zu geben, können wir wachsen und uns persönlich weiterentwickeln.
Das Leben besteht nicht nur aus angenehmen Gefühlen – und das ist gut so. Denn nur durch die Auseinandersetzung mit den unangenehmen Seiten unseres emotionalen Spektrums können wir lernen, wer wir wirklich sind und was wir in unserem Leben verändern oder schätzen müssen.
Fazit: Die Botschaft der Gefühle verstehen
Das Ziel ist nicht, unangenehme Gefühle zu vermeiden, sondern zu verstehen, was sie uns sagen wollen. Die neurowissenschaftlichen und psychologischen Erkenntnisse zeigen, dass Gefühle – egal ob angenehm oder unangenehm – eine wichtige Rolle in unserem Leben spielen. Sie sind Wegweiser zu unseren Bedürfnissen, die uns helfen, ein erfüllteres und authentischeres Leben zu führen.
Also, wenn das nächste Mal Angst, Wut oder Traurigkeit anklopfen, öffne die Tür und höre ihnen zu. Sie haben mehr zu bieten, als du vielleicht denkst.
Quellen:
•Lieberman, M. D. (2007). Putting Feelings Into Words: Affect Labeling Disrupts Amygdala Activity in Response to Affective Stimuli. Psychological Science.
•Neff, K. D. (2003). The development and validation of a scale to measure self-compassion. Self and Identity.
•Rosenberg, M. (2003). Nonviolent Communication: A Language of Life.