Strafen oder Lernen lassen? Gewaltfreie Kommunikation im Alltag

Ob zuhause, in der Schule oder im Büro – wir alle kennen Situationen, in denen wir am liebsten sofort bestrafen würden. Ein Kind schmeißt das Glas vom Tisch, ein Schüler macht seine Hausaufgaben nicht, ein Kollege hält die Deadline nicht ein. Strafen wirken in solchen Momenten schnell und scheinbar effektiv. Doch langfristig untergraben sie Vertrauen, Beziehung und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) zeigt uns einen anderen Weg. Statt Angst und Schuld setzt sie auf Verbindung, Klarheit und logische, nachvollziehbare Folgen. In diesem Beitrag möchte ich dir den Unterschied zwischen Strafe und Konsequenz aufzeigen, typische Stolperfallen benennen und dir Formulierungen an die Hand geben, die du sofort ausprobieren kannst – sei es in der Kindererziehung, im Klassenzimmer oder im Team.

Strafe – so klingt es oft im Alltag

Viele von uns sind mit Strafen aufgewachsen. Wir haben gelernt, dass man Verhalten mit Drohungen, Beschämungen oder Entzug von Privilegien steuern kann. Entsprechend kommen uns solche Sätze ganz automatisch über die Lippen:

  • Wenn du deine Hausaufgaben nicht machst, gibt’s keinen Film.“ (Bestrafung: Entzug, Drohung)

  • Du bist unzuverlässig, weil du die Deadline verpasst hast.“ (Bestrafung: Abwertung, Etikettierung)

  • „Du bist ungezogen, weil du geschubst hast.“ (Bestrafung: Schuldzuweisung, Beschämung)

 

Diese Sprache ist uns vertraut – und gleichzeitig spüren wir, dass sie wenig hilfreich ist. Sie stellt das Gegenüber bloß, fördert Angst oder Trotz und bricht die Verbindung ab.

 


Konsequenzen gewaltfrei benennen – wie es mit GFK klingt

Die gute Nachricht: Es geht anders. Gewaltfreie Kommunikation heißt nicht, alles laufen zu lassen oder Grenzen aufzugeben. Im Gegenteil: GFK hilft uns, klare Grenzen zu setzen – aber ohne Beschämung, Drohung oder Machtspiel. Stattdessen benennen wir unsere Beobachtung, teilen Gefühle und Bedürfnisse und machen die reale Folgesichtbar.

Für Kinder (3–5 Jahre, Kleinkindalter)

Ein Glas fällt vom Tisch und zerbricht. Strafe wäre: „Weil du so unachtsam warst, gibt’s heute keinen Nachtisch.“ Doch was ist die natürliche Folge?

„Ups, das Glas ist kaputt. Ich hab mich erschreckt – mir ist Sicherheit wichtig. Lass uns die Scherben sichern und zusammen wegfegen, damit sich niemand verletzt.“

👉 Das Kind lernt: Handeln hat Folgen – ohne Angst, ohne Scham.

Für Jugendliche (13–15 Jahre, Schule/Familie)

Hausaufgaben bleiben liegen. Klassische Strafe: „Wenn du das nicht machst, streiche ich dir den Film.“ Oder: „Du bist faul.“

Gewaltfrei klingt das anders:

„Ich sehe, die Hausaufgaben sind heute liegen geblieben. So gehst du morgen unvorbereitet rein – das macht Abfragen oder Tests echt schwer. Ich erfinde dir keinen Zettel, der nicht stimmt, weil mir Ehrlichkeit wichtig ist. Magst du mir sagen, was los war – und wie du’s nachholen willst?“

👉 Die Realität spricht für sich: Wer unvorbereitet ist, erlebt die Folgen in der Schule. Keine Drohung – nur Klarheit.

Für Erwachsene (Kollege, Partnerin, Team)

Auch im Team greifen wir manchmal zu sprachlichen Strafen: „Du bist unzuverlässig!“ oder „Auf dich kann man sich nicht verlassen.“

Gewaltfrei geht so:

„Die Abgabe ist nicht gekommen. Ich war frustriert, weil mir Planbarkeit wichtig ist. Für den nächsten Slot vergebe ich die Aufgabe an jemand mit Kapazität – und ich möchte verstehen, was bei dir los war, damit wir’s künftig stabiler hinbekommen.“

👉 Auch hier: keine Abwertung, sondern Verbindung. Gleichzeitig ist die logische Folge klar – Aufgaben gehen dorthin, wo sie verlässlich erfüllt werden.

Strafe – natürliche Folge – GFK-Haltung

  • Strafe: wird von außen auferlegt und hat oft wenig mit dem eigentlichen Verhalten zu tun. Beispiel: „Weil du das Glas umgeworfen hast, bekommst du keinen Nachtisch.“ Glas und Nachtisch stehen in keinem logischen Zusammenhang – es ist willkürlich.

  • Natürliche Folge: entsteht unmittelbar aus dem Verhalten – nach dem Prinzip Ursache und Wirkung. Beispiel: „Das Glas ist zerbrochen, deshalb müssen wir es wegräumen, damit sich niemand verletzt.“ Oder bei Jugendlichen: „Wenn du die Hausaufgaben nicht machst, gehst du unvorbereitet in die Schule – das macht Tests und Abfragen schwerer.“

  • GFK-Haltung: benennt Beobachtung, Gefühl und Bedürfnis und verbindet sie mit der nachvollziehbaren Folge. Beispiel: „Ich sehe, dass die Hausaufgaben nicht fertig sind. Ich bin angespannt, weil mir Verlässlichkeit wichtig ist. Mir ist klar: Wenn du morgen unvorbereitet bist, wird das schwierig für dich. Magst du mir erzählen, was heute los war, und wie du’s nachholen kannst?“

 

So wird deutlich: Strafe trennt, eine natürliche Folge zeigt die Realität, und GFK hält die Verbindung.

 


Mini-Übung: Deinen Autopiloten unterbrechen

Beim nächsten Mal, wenn du strafen möchtest, probiere Folgendes:

  1. Atme tief ein und aus, zähle bis fünf.

  2. Sag dir leise: „Ich bin gerade … (Gefühl). Mir ist … wichtig (Bedürfnis).“

  3. Frag dich: „Was ist die reale Folge? Was ergibt sich logisch aus dem Verhalten?“

  4. Sprich erst dann – klar, ruhig, empathisch.

 

Mit der Zeit wirst du merken: Du reagierst weniger automatisch, sondern gestaltest bewusster.


 

Reflexionsaufgabe für dich

Nimm dir heute zehn Minuten:

  • Wann habe ich zuletzt bestraft?

  • Welches Bedürfnis war bei mir unerfüllt?

  • Welche natürliche Folge hätte ich stattdessen aufzeigen können?

  • Formuliere einen Satz in GFK-Struktur: Beobachtung – Gefühl – Bedürfnis – Folge.

 

Wenn du magst, teile deine Gedanken mit mir. Ich freue mich über deine Erfahrungen und Ideen – und antworte dir persönlich.

👉 Schreib mir über mein Kontaktformular

 


Fazit

Strafen stoppen Verhalten, aber sie trennen. Konsequenzen klären Verhalten – und erhalten die Beziehung.Gewaltfreie Kommunikation eröffnet uns die Möglichkeit, in der Kindererziehung, im Unterricht und auch im Arbeitsalltag mit Klarheit und Empathie zu handeln. So lernen alle Beteiligten: Verantwortung heißt nicht Angst, sondern Verbindung.

👉 Wenn du tiefer in die Gewaltfreie Kommunikation einsteigen möchtest: Schau dir mein Einführungswochenende im Oktober oder im November an.