Drohungen tauchen überall auf: im Beruf, in Beziehungen, in Teams. Mal offen („Dann kündige ich!“), mal subtil („Das hat Konsequenzen.“). Wer verstehen will, warum Menschen drohen und wie wir Konflikte deeskalieren, profitiert von drei wissenschaftlich gut belegten Blickwinkeln: Reaktanz, Macht‑Dynamiken und Verhandlung.

1) Warum drohen wir?

Das psychologische „Warum hinter dem Was“:

  • Reaktanz: Freiheit bedroht → Gegendruck steigt. Wenn Menschen erleben, dass ihre Autonomie eingeschränkt wird, entsteht ein motivierter Zustand, die bedrohte Freiheit zurückzugewinnen – notfalls durch Drohungen oder Gegendrohungen. Das ist seit Brehm (1966) sehr gut belegt und in Reviews breit bestätigt. 

  • Macht als „Zukunftseinfluss“ – und das Gefälle dahinter. Höhere Macht fördert Annäherungstendenzen (Durchsetzen, Tempo); geringe Macht aktiviert Hemmung (Vorsicht, Bedrohungsfokus). In asymmetrischen Lagen greifen Menschen eher zu Drohungen, um wahrgenommenen Einfluss zu erhöhen. Das erklärt, warum Drohungen oft aus Ohnmachtsgefühlen geboren werden. 

  • Intergruppen‑Konflikte: Bedrohungsinhalt zählt. Forschung zeigt, dass v. a. Machtlose auf spezifische Bedrohungen (Status, Identität, Ressourcen) sensibel reagieren – Drohungen werden dann zum Mittel der Selbstbehauptung. 

 

Kurz:

Hinter Drohungen stehen meist Bedürfnisse nach Sicherheit, Autonomie, Selbstwirksamkeit, Respekt und fairer Behandlung. Drohen fühlt sich kurzfristig handlungsfähig an – kann aber mittel‑ bis langfristig Vertrauen und Optionen reduzieren. Diese Ambivalenz betont auch Klaus Eidenschink in seiner Konfliktserie („Liebe Konflikte“).

2) Was Drohungen in Konflikten bewirken (und oft verschlimmern)

  • Eskalationsspirale: Drohungen triggern Reaktanz beim Gegenüber → Gegendrohungen → Kommunikationskanäle verengen sich → Sachthemen verschwimmen. Verhandlungsleitfäden und Konfliktforschung beschreiben genau diese Dynamik – und wie man den „Angst‑Tunnel“ wieder öffnet. 

  • Glasl: Stufe 6 ist „Drohstrategien“. In seinem 9‑Stufen‑Modell steht Drohen bereits für eine fortgeschrittene Eskalation – ab hier sinken die Chancen auf Win‑Win schnell. Das ist ein wichtiger Realitätscheck: Wer droht, ist schon tiefer im Konflikt, als er denkt. 

  • Kosten für beide Seiten: Drohen kann kurzfristig Wirkung zeigen, birgt aber hohe Nebenwirkungen (Beziehungsverschleiß, Image‑Schaden, Dritte werden aktiviert, juristische Risiken). Auch Verhandlungsforschung und Team‑Power‑Reviews warnen vor „Machtkämpfen“, die Kooperation lähmen. 

 

3) Wann Drohungen (ausnahmsweise) sinnvoll sein können

Verhandlungsforschung zeigt: Gut kalibrierte Drohhinweise können Gespräche aus Sackgassen lösen – aber nur, wenn sie glaubwürdig, maßvoll und lösungsbezogen sind. Die Faustregel: Erst Beziehung & Optionen stabilisieren, dann (sparsam) mit Konsequenzen arbeiten – nie umgekehrt. 

4) Von Drohen zu Verhandeln: Was wirklich hilft

DEAL‑Leitidee (aus Harvard‑Materialien, vereinfacht):

  • De‑eskalieren: Pause, Tempo raus, Ton regulieren.

  • Emotionen benennen: „Ich bin gerade alarmiert, mir ist X wichtig.“

  • Auswahl/Autonomie betonen: „Du kannst… Ich wünsche mir, dass…“ (Reaktanz senken)

  • Lösungen rahmen: Optionen vergleichen, gemeinsame Kriterien nutzen. 

 

GFK‑Impuls:

Nutze ansonsten die 4 Schritte der GFK (mit entsprechender Haltung).

Beobachtung → Gefühl → Bedürfnis → Bitte

Das verschiebt den Fokus von „Droh‑Dynamik“ zu Bedürfnis‑Dialog und reduziert Reaktanz, weil Autonomie und Sinn gewahrt bleiben. 

5) Neuropsychologischer Praxisblick 

Dirk Eilert – EmTrace verbindet Emotions‑ und Bindungswissen (u. a. mit Prof. Anna Buchheim) für Coaching‑Settings. Relevante Take‑aways für Konflikte:

  • Emotionsregulation vor Intervention: Erst das autonome Nervensystem beruhigen (Atmung, Orientierung), dann verhandeln – sonst bleibt das Gehirn im Bedrohungsmodus (präfrontal „offline“).

  • Bindungsmuster & Trigger verstehen: Wer Nähe/Autonomie leicht als Risiko erlebt, droht schneller bzw. hört schneller Drohungen heraus.

  • Ressourcenfokussierung: Gezielt Sicherheit, Selbstwirksamkeit, Verbundenheit aktivieren, bevor man in Inhalte geht.

 


 

Praxis-Hack: 5 Mini‑Interventionen für heikle Momente

  1. Stopp‑Signal (somatisch, 30–60 Sek.)

    Ausatmen verlängern, Blick weiten, zwei Dinge im Raum benennen. Ziel: Reaktanz & Alarm runterregeln (Window of Tolerance öffnen). 

  2. Bedürfnis statt Drohung

    Statt „Wenn du nicht…, dann…“ → „Mir ist Verlässlichkeit wichtig. Können wir X vereinbaren, damit Y gelingt?“ (Autonomie wahren → weniger Reaktanz). 

  3. Gemeinsame Kriterien

    Vor Optionen über Kriterien einigen („Zeit, Qualität, Budget, Fairness“). Dann prüfen, welche Lösung die Kriterien für beide am besten erfüllt (Reframing auf Kooperation). 

  4. BATNA klären – ohne zu fuchteln

    BATNA steht für „Best Alternative to a Negotiated Agreement“ – auf Deutsch: Beste Alternative zu einer verhandelten Einigung. Kläre dich und deine Standards. Die eigene Alternative kennen (ruhig, faktenbasiert), als Rahmen statt Keule kommunizieren. „Mir ist gemeinsame Lösung lieber; falls nicht, mache ich …“ 

  5. Glasl‑Check

    Kurz prüfen: Auf welcher Stufe sind wir? Bei Stufe 6 („Drohstrategien“): Moderation/  Mediation/ Coach/ Dritte hinzuziehen, bevor es kippt. 


Fazit

Drohungen sind oft Abkürzungen aus Ohnmacht. Kurzfristig geben sie Kontrolle, langfristig verbrennen sie Beziehungskapital und Optionen. Reaktanz‑Forschung, Macht‑Psychologie und Verhandlungslehre zeigen Wege, wie wir Autonomie wahren, Sinn klären und Optionen öffnen – also vom „drohenden“ Machtpol in einen verhandelnden Dialog wechseln können. Genau dort entstehen tragfähige Vereinbarungen – und echte Verbindung. 

 


Quellen & weiterführende Literatur

  • Keltner, D. et al. (2003). Power, approach, and inhibition. Psychological Review. (und aktuelle Reviews) 

  • Steindl, C. et al. (2015). Understanding Psychological Reactance. Frontiers in Psychology. (Review) 

  • Rosenberg, B. D., & Siegel, J. T. (2016). A 50‑year review of psychological reactance theory. (Review) 

  • Kamans, E. et al. (2011). Power and threat in intergroup conflict. Group Processes & Intergroup Relations. 

  • Harvard Program on Negotiation: Threats in negotiation / How to deal with threats (Praxisleitfäden). 

  • Glasl, F.: 9 Eskalationsstufen (Übersichten). 

  • Eilert, D. W.: Integratives Emotionscoaching mit emTrace (Buch/Weiterbildung; mit Literaturverzeichnis); Kooperationsformate mit Prof. Anna Buchheim (Bindungsdiagnostik).